Quelle: publicdomainpictures/Pixabay
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Konzerngeschichte

Geschichte der Desinfektion

Helferlein im Fokus

Erst nachdem Forscher verstanden, welche Mechanismen genau einem Wirkstoff seine desinfizierende Wirkung verleihen, rückte auch die systematische Suche nach optimalen Hilfsstoffen in den Fokus des Interesses. Das Ziel: Desinfektionsmittel so formulieren, dass sie möglichst lange möglichst gut wirken und gleichzeitig mild sind.

Im antiken Griechenland wurden Wunden mit Branntwein oder Essig ausgespült. Im 15. Jahrhundert plädierte der päpstliche Leibarzt Johann Vigo (1460-1520) dafür, Schusswunden mit siedendem Öl auszubrennen. Jahrhundertelang wurden für die Desinfektion von Wunden Mittel eingesetzt, die ohnehin vorhanden waren.

Das änderte sich erst, als im späten 19. und 20. Jahrhundert besser verstanden wurde, wieso bestimmte Stoffe desinfizierend wirkten. Langsam setzte sich die Erkenntnis durch, dass nicht allein der Wirkstoff, sondern die gesamte Formulierung darüber entscheidet, wie gut ein Desinfektionsmittel wirklich ist.

Je nach Anwendungsfeld kommen inzwischen Korrosionsinhibitoren, Netzmittel, Viskositäts- und pH-Stabilisatoren, Entschäumer, Komplexbildner, Farb- und Duftstoffe sowie Substanzen zur Verbesserung der Hautverträglichkeit wie Rückfetter hinzu. Außerdem Formulierungshilfen wie Stabilisatoren, Emulgatoren, Lösungsmittel und Lösungsvermittler.

Vom Autoreifen zur Zahnpasta

Viele der Hilfsstoffe haben selbst eine erstaunliche Karriere hinter sich.

Zum Beispiel die pyrogenen Kieselsäuren: Bei der damaligen Degussa suchte man in den 1930er Jahren nach einem Ersatzstoff für knapp werdende Industrieruße, die unter anderem als Verstärkerfüllstoffe in Autoreifen dienten. Der Chemiker Harry Kloepfer kam Anfang der 1940er Jahre auf die Idee, einen Rußersatz aus leicht zugänglichen Rohstoffen wie Sand und Silikaten herzustellen. Statt Öl speiste er Siliciumtetrachlorid in den Gasrußofen ein. Daraus entstand eine extrem feinteilige Kieselsäure: eben AEROSIL®.

Das Produkt wurde seitdem kontinuierlich weiterentwickelt und die Angebotspalette um eine Vielzahl neuer Varianten erweitert. In den folgenden Jahrzehnten wurden damit die Materialeigenschaften technischer Gummiartikel verbessert, das Rieselverhalten verschiedenster Pulver verfeinert, Lacke gegen Kratzer gehärtet, das Fließverhalten von Zahnpasta optimiert und Mikrochips poliert.

Im Zuge der Corona-Krise 2019/2020 kam noch eine weitere Aufgabe hinzu: Normalerweise sorgt Carbomer in alkoholbasierten Handdesinfektionsmitteln für die richtige Viskosität. Diese Polyacrylsäure wurde jedoch knapp, als die Nachfrage nach Desinfektionsmitteln immer weiter stieg. Durch die Zugabe von AEROSIL® konnte die benötigte Carbomer-Menge in Desinfektionsmitteln drastisch reduziert werden.

Vom Treibstoff zur Desinfektion

Ein anderes Beispiel ist tert-Butanol. Den dreiwertigen Alkohol stellte das Evonik-Vorgängerunternehmen Hüls bereits 1953 mittels Schwefelsäureextraktion in Marl her. Er diente ursprünglich vor allem als Treibstoffzusatz zur Verhinderung einer Vergaservereisung beziehungsweise als Antiklopfmittel. Inzwischen wird es auch in der Wissenschaft als Lösemittel für die Gaschromatografie sowie vor allem als Vorstufe in organischen Peroxiden und Antioxidantien eingesetzt. In Marl wurde tert-Butanol zunächst als Gemisch mit Wasser hergestellt, als Azeotrop. Anfang 1965 wurde die Produktion im Chemiepark umgestellt, seitdem wird der dreiwertige Alkohol auch wasserfrei hergestellt. Seit 2020 ist tert-Butanol auch in alkoholischen Handdesinfektionsmitteln zu finden: tert-Butanol dient dort als Vergällungsmittel, d.h. damit verändert man den natürlichen Geruch oder Geschmack des Alkohols, damit keine Alkoholsteuer gezahlt werden muss.