Pressemitteilung
Standort Lülsdorf
26. Juli 2013

Teil 12: Die Entwicklung der Chlorchemie

Durch die Umrüstung der Elektrolyse auf neue Zellen und durch die Modernisierung der Chlor-Anlage stieg die Chlorproduktion im Werk Lülsdorf rasant. Chlor zählt neben Fluor zu den reaktivsten Elementen des Periodensystems und reagiert mit fast allen Stoffen. Aufgrund dieser Eigenschaft spielte Chlor in den 50er Jahren eine große Rolle als Desinfektions und Trocknungsmittel für Gase. So wurde in Lülsdorf das Chlor nicht nur verflüssigt, sondern auch Chlorcalcium-fest, auch bekannt als Chlorkalk, produziert. In Verbindung mit Kalium war Chlorat hingegen für die Herstellung von Sprengmitteln, im Bergbau und auch als Munition von Bedeutung. Das vierte Produkt dieser Gruppe war Chlorcalcium-Sole und fand Einsatz als Kühlmittel.Für vier neue chlorverbrauchende Produkte, Vinylidenchlorid, Methylchloroform, Allychlorid und Epichlorhydrin, baute die Feldmühle AG 1958 eine Technikumsfreianlage. Hier sollten die in Lülsdorf entwickelten Laborverfahren für den Produktionsmaßstab optimiert werden.

Nach kurzer Zeit wurde allerdings die Produktion von Vinylidenchlorid, einem Baustein für die Herstellung von PVC, das unter anderem durch seine Verwendung in Fußbodenbelägen bekannt ist, wieder eingestellt. Grund dafür war, dass die Produktion von PVC auf Verfahren umgestellt wurde, die preisgünstigere Vorprodukte einsetzten. Auch die Erzeugung von Allylchlorid musste bald wieder aufgegeben werden. Methylchloroform, der erste nennenswerte neue Chlorverbraucher, hielt sich insgesamt 15 Jahre als Fettlöser auf dem Markt, wurde dann jedoch wieder vom Markt genommen, da es gesundheitsgefährdend war. Und auch die Produktion von Epichlorhydrin war nicht von Dauer. Es wurde zwar erfolgreich vermarktet oder im Werk zu Epoxydharz weiterverarbeitet, das hauptsächlich als Klebstoff verwendet wird. Beide Verfahren verkaufte das Unternehmen allerdings 1966 an die Shell AG.

 

Nutzen durch Dükerleitung

Als 1960 der Absatzmarkt für flüssiges Chlor allmählich wegbrach, beschloss die Feldmühle AG in Lülsdorf Vinylchlorid, die Vorstufe von Polyvinylchlorid-PVC, herzustellen. In diesem Zusammenhang wurde das Werk aus dem Papierkonzern herausgelöst und in die Dynamit Nobel AG eingegliedert. Die Verarbeitung von Vinylchlorid zu PVC erfolgte in deren Stammhaus in Troisdorf. Für die Herstellung von Vinylchlorid musste allerdings eine neue Produktionsanlage her. Diese wurde nach dem Verfahren des Dynamit Nobel-Werks Rheinfelden erbaut, bei dem das zur Erzeugung von Vinylchlorid benötigte Acetylen über Karbid gewonnen wurde. Das erforderliche Chlor sowie den Wasserstoff lieferte weiterhin die Elektrolyse. Mit Unterzeichnung des Pachtvertrags vom 9. Januar 1962 ging das Werk in die Dynamit Nobel AG über, behielt aber den Beinamen „Werk Feldmühle“. Drei Jahre später erfolgte der endgültige Durchbruch zur wirtschaftlichen Verarbeitung des Chlors. Mithilfe einer Dükerleitung, die Lülsdorf unter dem Rhein mit der
gegenüberliegenden Raffinerie (damals Union Rheinische Braunkohlenkraftstoff AG – UK, heute Shell) und dem dortigen Rohrleitungsnetz verband, war das Werk in der Lage, Ethylen sehr günstig heranzuführen. Dadurch rückten neue Verfahren zur Herstellung von 1,2-Dichlorethan (EDC, Vorprodukt für einen alternativen Reaktionsweg zu Vinylchlorid) und Perchlorethylen (PER) in greifbare Nähe. Das in den letzten Jahren schwächelnde Geschäft mit Flüssigchlor führte immer wieder zu Absatzproblemen des in der Elektrolyse entstehenden Koppelprodukts Chlor. Auch die bereits bestehenden chlorverbrauchenden Verfahren waren nicht in der Lage, die Mengen an Chlor immer vollständig zu verbrauchen. Entsprechend konnte die Elektrolyse nicht mit Volllast betrieben werden. Mit den neuen Produkten EDC und PER konnte die gesamte eigene Chlorproduktion schlagartig weiterverarbeitet werden.

Daher begannen im gleichen Jahr die Arbeiten an einer neuen Anlage, die nach einjähriger Bauzeit in Betrieb genommen wurde. Ein Teils des produzierten EDC gelang durch die Dükerleitung nach Knapsack. Die Produktion war so erfolgreich, dass die Elektrolyse schon bald nicht mehr genügend Chlor liefern konnte und man sogar weiteres Flüssigchlor zukaufte. Eine äußerst befriedigende Lösung für die großen Mengen anfallenden Chlors aus der Elektrolyse war gefunden.

Chlor – ein gefährliches und nützliches Element

Viele Menschen kennen Chlor aus dem Wasser im Schwimmbad, dort verhindert es die Keimbildung im Badewasser. Weiterhin sind FCKW (Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe) und DDT (Dichlor-Diphenyl-Tetrachlorethan) den meisten Menschen als Umweltgifte bekannt. Und in der Tat ist Chlor ein mit Vorsicht zu genießendes Element, was allerdings auch zahlreiche nützliche und wichtige Anwendungen hat. Die größte Verwendung findet Chlor bei der Produktion von PVC. Daneben wird Chlor in zahlreichen Verfahren zur Herstellung von Pharmaprodukten, Kunststoffen, Pestiziden, Farbpigmenten oder für Artikel der Elektroindustrie als wichtiger Synthesegrundstoff benötigt.