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Eierretter

Pro Jahr schlüpfen weltweit mehr als vier Milliarden männliche Küken, nur um gleich darauf getötet zu werden. Das niederländische Start-Up In Ovo sieht darin nicht nur ein ethisches Problem, sondern auch ein Verlustgeschäft. Seit 2018 unterstützt Evonik In Ovos Rettungsmission.

„Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“ lautet bekanntermaßen die Anweisung aus dem Märchen vom Aschenputtel. Dort geht es um Linsen, die nach Qualität getrennt werden sollen. Aus den Guten wird Linsensuppe gekocht, die Schlechten sind nutzlos und wandern in den Müll. Doch dieser Satz ist kein nostalgischer Märchenstoff, sondern brandaktuell. Die Geflügelindustrie weltweit wendet dieses Verfahren jeden Tag millionenfach an, indem sie frisch geschlüpfte Küken nach Geschlecht trennt. Die nützlichen, weiblichen Küken wachsen zu Legehennen heran und/oder ernähren Menschen mit ihrem Fleisch. Die männlichen Küken können weder Eier legen, noch setzen sie genügend Fleisch an. Sie gelten als unnütz, werden aussortiert, dann geschreddert oder erstickt. Für eine wachsende Zahl an Konsumierenden sind diese Tötungen ein ethisches Problem, das zumindest Gewissensbisse verursacht, wenn nicht gar sie davon abhält, Eier oder Hühnerfleisch zu kaufen. Spätestens an dieser Stelle werden die wirtschaftlichen Auswirkungen der Kükenauslese offensichtlich.

Bereits im Ei

Evonik sieht sich in der Verantwortung, für eine nachhaltigere Ernährung und damit auch artgerechte Produktionsmethoden einzutreten. Aus diesem Grund kooperiert das Unternehmen mit dem niederländischen Start-Up In Ovo. Bei In Ovo ist der Name Programm: Der lateinische Ausdruck bedeutet „im Ei“. Denn bereits dort liegt der Ansatzpunkt der beiden Gründer Wouter Bruins und Wil Stutterheim. Noch während des Wirtschaftsstudiums an der Universität Leiden entstand die Idee zu ihrem Start-Up als Business Case Projekt. Aus der Geflügelzucht stammen Bruins und Stutterheim zwar nicht, sie suchten aber ein Problem, dessen Lösung sie vorantreiben konnten und stießen auf die Kükenauslese. Bis zum Zeitpunkt des Schlüpfens ist das Geschlecht eines Kükens in der Regel unbekannt, weswegen alle Eier vollständig ausgebrütet werden müssen. Das bedeutet einen Mehraufwand an Platz, Energie und damit Kosten, nur um schließlich die Hälfte – die männlichen Küken – auszurangieren. „Noch muss für jede Henne ein Hahn sterben!“, wie die In Ovo-Gründer die Gleichung zusammenfassen. Darüber hinaus werden alle Küken händisch am Fließband sortiert – ein weiterer Ausgabenposten.

Wouter Bruins (l.) und Wil Stutterheim (r.), die Gründer des niederländischen Start-Ups In Ovo, das dem Kükenschreddern ein Ende setzen will.
Wouter Bruins (l.) und Wil Stutterheim (r.), die Gründer des niederländischen Start-Ups In Ovo, das dem Kükenschreddern ein Ende setzen will.

In Zusammenarbeit mit ihrer Universität entwickelten Bruins und Stutterheim bis 2013 ein kostengünstiges und das Ei nicht beeinträchtigendes Screening-Verfahren, durch welches das Geschlecht eines Kükens bereits „in ovo“ bestimmt werden kann. Dabei wird ein winziges wiederverschließbares Loch in die Eierschale gebohrt, eine Probe entnommen und auf bestimmte Marker hin untersucht, die schon sehr früh das Geschlecht des Kükens verraten. Dieses sogenannte „egg sexing“ funktioniert bereits unter Laborbedingungen, wartet jedoch zurzeit noch darauf, großflächig ausgerollt zu werden. Seit 2018 steht Evonik dem Start-Up mit Kapital und Expertise zur Seite – eine zukunftsträchtige Investition, die es In Ovo ermöglicht, einen marktfähigen Screening-Prototypen zu entwickeln. Mit dessen Fertigstellung rechnen die beiden Gründer noch in diesem Jahr.

Ein erster Schritt

Das Bahnbrechende an ihrer Methode ist die schnelle Durchlaufzeit: Pro Minute können tausende von Eiern das In Ovo-Screening durchlaufen. Angesichts der kurzen Brutzeit von nur drei Wochen vom Legen bis zum Schlüpfen und dem steigenden Bedarf an Hühnerfleisch und -eiern, ist diese Geschwindigkeit auch notwendig. Darüber hinaus erfolgt das Screening automatisch, was es kostengünstiger als die herkömmliche Kükenauslese macht. Wird ein Ei im Screening als männlich identifiziert, wird es ausgesondert und belegt keinen der für weibliche Hühnereier reservierten Brutplätze im Inkubator.

Für die Gründer von In Ovo ist damit jedoch nur der erste Schritt getan: Sie können zwar nicht verhindern, dass in Eiern männliche Küken heranwachsen, aber sie haben dafür gesorgt, dass es eine Möglichkeit gibt, Küken den Tod durch Schreddern oder Ersticken zu ersparen. Nun gilt es, ein „repurpose“, eine (alternative) Nutzungsform für die unausgebrüteten Eier zu finden. Denn auch in befruchtetem Zustand enthalten Hühnereier eine große Menge hochwertiger Proteine und anderer Nährstoffe. Das Folgeprojekt zu In Ovos Geschlechts-Screening, das solche Nutzungen erforscht, trägt den Arbeitstitel EGGR und erhält bereits jetzt in seiner Anfangsphase Fördergelder von der Europäischen Union. Das ethische und wirtschaftliche Engagement von In Ovo lässt darauf hoffen, dass die Kükenauslese bald der Vergangenheit angehören wird.

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